Die Nacht des Doktor Herzfeld by Georg Hermann

Die Nacht des Doktor Herzfeld by Georg Hermann

Autor:Georg Hermann [Hermann, Georg]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-03-18T00:00:00+00:00


Ja, man sollte besser darin Bescheid wissen, denn eigentlich verblaßt doch zum Schluß alles, alles andere, und nur das bleibt als die paar herausleuchtenden, rot gedruckten Lebenstage im Kalender, der sonst nur mit so eklig schwarzen oder so traurig grauen Buchstaben gesetzt ist.'

'Nun', sagte Hermann Gutzeit und schlug den Mantel so weit zurück, wie es nur anging denn er behinderte ihn, und er hatte Sehnsucht, der Luft näher zu sein, als es durch all die Schichten der Kleidung möglich war... er hätte sich wie der Lear die Sachen vom Leibe reißen müssen – 'nun, dieses Mal scheint Sie ja Ihr Gedächtnis nicht im Stich gelassen zu haben, Herr Doktor.'

'Ich weiß nicht, wie es das sollte?! – Kennen Sie, Hermann Gutzeit, den Stempel ‹t. f.›, travail force, der den Sträflingen früher in Frankreich mit heißen Eisen in die Schulter gebrannt wurde? – Meinen Sie, daß je einer diese Stunde vergessen hat?'

Hermann Gutzeit schüttelte seinen großen Kopf, daß die Haare herüber und hinüber flogen – er trug den Hut in der Hand.

'Ich verstehe Sie nicht, Doktor', sagte er ungewiß und leicht erschrocken.

'Wissen Sie auch, Hermann Gutzeit, daß es einer der seltsamsten und erregendsten Zufälle meines Lebens ist, daß ich gerade heute Lene Held – sie heißt Lene Held, nicht anders! wieder treffen mußte, – gerade heute?!'

'Ach Gott, Doktor, ich glaube nicht an seltsame Zufälle; sie sind zum Schluß alle so beleidigend natürlich.'

'Dann nennen Sie es, wie Sie wollen.'

'Ja, was soll daran wunderbar sein? – Die Welt ist eben weit – die Fäden laufen auseinander: irgendmal müssen sie wieder Zusammenkommen – oder auch nicht... eins ist so wenig merkwürdig wie das andere.'

'Ja, wir hatten, Hermann Gutzeit, gerade in dem Augenblick, in der Minute eigentlich von ihr gesprochen, und ich hatte seit zehn Jahren vor keiner Menschenseele jemals mehr ihrer auch nur die leiseste Erwähnung getan. Ich wußte gar nicht, ob sie noch lebte, wo sie lebte, was aus ihr geworden; ob sie Karriere gemacht oder ganz verkommen... ich wollte es auch nicht wissen... Und ganz urplötzlich stand sie vor mir! Und nun habe ich gesehen: sie hat dasselbe getan wie wir alle, wie die meisten, die wir kennen! – weder das eine noch das andere, weder Karriere gemacht, noch ist sie verkommen. Sie hat sich genau so wie wir eben alle durch dieses Dasein manifestiert, nur immer kümmerlicher, immer armseliger.'

Jetzt schüttelte Hermann Gutzeit den Kopf nicht mehr. Nun begriff er. Das Thema war ihm nicht angenehm.

'Aber sie sah doch noch ganz gut aus', meinte er obenhin.

'Ach Gott, Hermann Gutzeit, was wissen Sie denn?! Damals vor achtzehn Jahren war das Mädchen wie eine Naturgewalt; so skrupellos und wild. Sie war geschmeidig wie eine Liane und ebenso seltsam und ebenso schön und blühend. Jeder Zug von ihr, jede Bewegung versprach tausend Dinge, die sie nie besaß, spiegelte Schönheiten und Absonderlichkeiten der Seele, die ihr vollends fern lagen, ja die ihr kleines Hirn nie begriffen hätte. Sie hatte eine Weichheit um die Wangen, die zu fühlen man nie müde wurde, und einen Sehnsuchtsklang in den dunklen überbuschten Augen und in der Stimme, die einen müde und wunschlos machte.



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